„Brüder
halten immer
zusammen“
Freddy Bettelmann
Peter
Bettelmann
MIK: Freddie und Peter, wie seid ihr zu der
Lebensgemeinschaft des SSM gekommen?
Peter (40 Jahre): Ich habe früher beim SSK am Salierring
gewohnt und mit den Leuten dort Häuser besetzt. Da war
alles morsch und kaputt und wir haben alles neu aufgebaut.
Davor war ich im Heim. Als ich 18 Jahre war, hat unsere
Mutter mich aus dem Heim rausgeholt.
Freddie (38 Jahre): Ich war in Hannover im Heim. Mein
Bruder und ich waren getrennt. Aus dem Heim bin ich
abgehauen. Meine Mutter hat beim SSM gelebt und mir den
Tipp gegeben, hierher zu kommen. Blitzschnell war ich hier.
Meinen Bruder habe ich aus dem SSK rausgeholt und zum SSM
gebracht.
Peter: Jetzt bleiben wir immer zusammen.
MIK: Gefällt es euch beim SSM besser als im Heim?
Freddie: Hier geht es uns viel besser. Wir haben jeder ein
Zimmer. Du hast deine Ruhe und an Karneval hast du frei.
Ich habe mein Kostüm schon bereit gelegt ... ein
Skelettkostüm.
Peter: Hier habe ich gute Freundinnen und Kumpels kennen
gelernt. Ich gehe gerne tanzen, in den Discos von Köln. An
Karneval gehe ich mit meinem Bruder zur Nubbelverbrennung.
Ich trage auch ein gruseliges Kostüm.
Freddie: Unsere Mutter hat uns viel gezeigt in Köln. Sie
ist schon lange tot. Sie ist beim SSM gestorben und auf dem
Friedhof in der Bruder-Klaus-Siedlung begraben. Da besuchen
wir sie manchmal. Sie hat Ruhe und Frieden gefunden, weil
sie weiß, dass wir hier sind. Unser Vater ist auch tot.
Peter: Wir sind erwachsen geworden hier. Hier ist unsere
Heimat! Hier sind wir frei.
MIK: Welche Arbeiten übernehmt ihr beim SSM?
Peter: Ich arbeite mit bei den Umzügen. Und manchmal
arbeite ich in der Küche. Freddie und ich kochen auch. Bei
den Umzügen sind wir den ganzen Tag unterwegs. Wir fahren
morgens um sechs Uhr los und kommen abends um sechs zurück.
Freddie: Manchmal haben wir frei. Und im Sommer haben wir
Urlaub. Da fahren wir nach Friesland, an die Nordsee. Peter
wird mit dem Auto abgeholt und ich fahre mit dem Fahrrad
dorthin. Den Weg finde ich mit der Landkarte und meinem
Kompass. Wir machen alleine Urlaub auf dem Campingplatz.
MIK: Habt ihr Hobbys?
Peter: Ich bin Künstler und einen Garten habe ich hier
auch. Ich pflanze gerne Bäume. Früher habe ich einem Bauer
im Oberbergischen geholfen. Da habe ich Heu gemacht, bei
der Ernte geholfen und so. Ich will den Führerschein machen
und ich will besser lesen und schreiben können.
Freddie: Ich bin auch Künstler, und Angler bin ich. Ich
habe einen Wurmkasten, da züchte ich Würmer, die ich zum
Angeln brauche. Ich gehe das ganze Wochenende angeln, von
Freitag bis Sonntag. Dann sitze ich die ganze Nacht
draußen. Meine Verpflegung sind die Fische, die brate ich
am offenen Feuer. Ich habe einen Fischereischein.
MIK: Beteiligt ihr euch an den politischen Aktionen des
SSM?
Peter: Ja, manchmal gehe ich mit zu Demos. Zum Beispiel zu
den Demos gegen Krieg. Ich will Frieden haben.
Freddie: Ich gehe nicht mit, das ist mir zu gefährlich.
Wenn die Polizei mit den Wasserwerfern kommt, das ist
gefährlich. Der Strahl ist so hart, davon kann man sterben.
Der Wasserstrahl ist wie ein Messer. Ich sage meinem
Bruder, geh’ lieber nicht dahin, das ist gefährlich,
aber der hört ja nicht ...
Peter: Ich habe keine Angst. Ich unterhalte die Leute.
Freddie: Ich bin nicht gerne unter vielen Menschen. Ich bin
lieber einsam für mich und gehe angeln.
MIK: Geht ihr alleine zum Arzt und dergleichen?
Peter: Klar, ich habe zwei Ärzte hier in der Nähe. Der eine
gibt mir Tabletten, damit die bösen Geister aufhören. Die
kommen immer zu mir in mein Zimmer und reden auf mich ein.
Das nervt mich. Dann nehme ich Tabletten. Und wenn ich
wegen meinen Krämpfen umfalle, dann habe ich auch meine
Medizin. Dann gehen die Krämpfe weg.
Freddie: Du musst einfach nicht auf die Geister hören,
Bruder. Einfach nicht darauf hören. Zu mir kommen keine
bösen Geister. Bei mir im Zimmer sitzt immer meine Mutter
und beschützt mich.
MIK: Habt ihr einen Traum?
Freddie: Ich träume vom Angeln. Ich möchte noch mehr Zeit
zum Angeln haben. Ich möchte auf dem Meer fischen, das soll
mein Beruf sein. Starker Wellengang macht mir nichts aus.
Mein Bruder und ich sind beide Sternzeichen Krebs. In ein
Flugzeug kriegt mich keiner. Oben in der Luft kriege ich
keine Luft, aber auf dem Wasser habe ich keine Angst.
Peter: Manchmal setze ich mich in einen Zug und fahre
irgendwo hin. Ich sage nicht Bescheid, ich fahre einfach
los. Aber ich komme immer wieder. Ich nehme meinen Stock
und gehe spazieren. Dabei schaue ich Bäume und Wiesen an
und freue mich über den guten Sauerstoff. Ich möchte gerne
den Führerschein machen. Dann kann ich über die Autobahn
rasen. Und ich kann nach Gummersbach zu dem Bauern fahren.
MIK: Wisst ihr, wie ihr leben wollt, wenn ihr einmal alt
seid?
Freddie: Dann kann man sich das Gesicht verändern lassen,
wenn man alt wird. Ich will nicht so alt aussehen. Jetzt
bin ich 38 Jahre.
Peter: Ich will ewig leben!
MIK: Ich danke euch für das Gespräch.
Die Brüder Peter und Freddie Bettelmann leben seit mehr als
15 Jahren bei der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim SSM.
Hier haben sie nach einer langen Heimkarriere gelernt, ihr
Leben trotz geistiger Behinderung selbständig und nach
ihrer Vorstellung zu gestalten. Sie sind gleichberechtigte
Mitglieder der Lebens- und Arbeitsgemeinschaft und leisten
ihren Beitrag zu den vielfältigen Arbeiten und Aktivitäten
des SSM.