Erklärung der SSM vom 7. Juni 2004


SSM VON SCHLIEßUNG BEDROHT

Am 26.02.2004 erhielt die „Sozialistische Selbsthilfe Mülheim“ (SSM) Post vom Ordnungsamt. Per Fax wurde uns verboten, weiter Umzüge zu fahren. Grund: der SSM fehle die erforderliche Genehmigung. Am 04.03. legte die Behörde nach und kündigte eine Betriebsschließung innerhalb 14 Tagen an. Seitdem ist die Existenz einer der ältesten und renommiertesten Selbsthilfen in Deutschland bedroht. Die Arbeitsplätze und der Lebensraum von über dreißig Menschen sind gefährdet.

Aber damit nicht genug: Für Ende März drohte die Schließung des Recycling- Betriebes des „Verbundes gemeinnütziger Kölner Möbellager e.V.“ kurz Möbelverbund, weil die städtischen Zuschüsse Ende des Jahres gestrichen werden sollen. Der Möbelverbund ist der Zusammenschluss einer Reihe von Selbsthilfegruppen und Vereinen, die wie die SSM Arbeitplätze schaffen und gleichzeitig Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosen mit preiswerten Möbeln, Hausrat und Kleidung versorgen. Der nichtverwertbare Anteil an Sperrgut wird vom Möbelverbund in einer beispielhaften Recyclinganlage getrennt und verwertet. Insgesamt sind in den Gruppen über 100 Arbeitsplätze in Gefahr.


Schranktransport

Über den Möbelverbund ist auch die Erlaubnis für die SSM und andere soziale Gruppen geregelt, in Köln Umzüge zu fahren. Fällt der Möbelverbund, fällt auch die Erlaubnis. Die SSM kann dann nicht mehr entrümpeln, weil sie den überschüssigen Sperrmüll nicht mehr los wird, und sie kann auch keine Umzüge mehr fahren, weil sie keine Speditionsgenehmigung hat. Als gemeinnütziger Verein kann sich die SSM nicht in eine gewerbliche Spedition verwandeln. Die Menschen, die bei der SSM sind, können und wollen arbeiten, obwohl viele Leute das Behinderten, Ex-Junkies, Ex-Gefangenen und anderen sozial Ausgegrenzten gar nicht mehr zutrauen. Aber allein schon der bürokratische Aufwand einer Spedition, wie doppelte Buchführung, endlose Formulare überfordert diese Menschen. Hinzu kommen die beträchtlichen Kosten für eine solche Speditionslizenz. Kostenlose Umzüge für die Menschen, die ohne Geld dastehen, wie sie die SSM auch durchführt, wären als Spedition wohl nur noch schwer möglich. Die SSM, ein Verein mit vielfältigen sozialen Aktivitäten, würde gezwungen werden, sich in eine Firma zu verwandeln, nur weil er ab und an Umzüge fährt. Die Auflagen und Anforderungen an eine Firma durch die Behörden sind aber beträchtlich und überfordern eine soziale Gruppe.

Angeblich wollen die Langzeitarbeitslosen nicht arbeiten, deshalb werden ja die Gesetze verschärft. Ein Verein, indem aber seit 30 Jahren Menschen ihren Lebensunterhalt verdienen und sonst nirgendwo Arbeit bekommen, würde auf dem bürokratischen Weg erdrosselt werden. Mit den Abkippmöglichkeiten der SSM und der Möglichkeit Umzüge zu fahren sind auf einmal beide wirtschaftlichen Standbeine des SSM angegriffen.

Als Begründung für die Schließung der Recyclinganlage wurde angegeben, im Zuge der sozialen Einsparungen sei kein Geld mehr vorhanden. Diese Behauptung ist vorgeschoben. Tatsächlich sind die Haushaltsmittel unverändert, und für diejenigen im Projekt, die mit ABM- und „Hilfe zur Arbeit“- Stellen arbeiten, also nicht die Lebensgemeinschaften wie SSM, SSK und EMMAUS, auch genug Stellen vorhanden. Geld und Stellen werden aber, wie man hört, stadtintern vom Möbelverbund auf die stadteigene Beschäftigungsgesellschaft GAP umgeleitet.

Nach Protesten von uns in der Öffentlichkeit haben Verwaltung und Koalitionsparteien erst mal eingelenkt. Der Möbelverbund kann bis Ende des Jahres sein Recyclingprojekt erst mal weiterführen. Jetzt bekunden alle Parteien ihr Interesse für das Recyclingprojekt und die damit verbundenen Arbeitsplätze, denn es ist Wahlkampfzeit, und niemand möchte da gegen Arbeitsplätze und Umweltschutz sein.

Inzwischen wird auf Initiative der SSM und des Möbelverbundes mit der Verwaltung und den Ratsparteien über ein neues, zukunftsweisendes Müllvermeidungsprogramm verhandelt. Danach soll der Möbelverbund für den gesammelten und verwerteten Sperrmüll in etwa das gleiche Geld bekommen, was die Abfallwirtschaftsbetriebe der Stadt Köln (AWB) aufwenden müssten, um diesen in der Müllverbrennungsanlage in Flammen aufgehen zu lassen. Die Vorteile liegen auf der Hand: die Wertstoffe werden bis zu 80% recycelt, die Umwelt wird entlastet, Bedürftige finden Arbeit und die unteren Einkommensklassen werden mit preiswerten Gütern versorgt.

Diese Lösung fordert die SSM schon seit Jahren, aber der Müllverbrennungslobby, die mittlerweile wegen der vielen Bestechungsskandale auch schon mal als Müllmafia tituliert wird, war es bisher immer gelungen, die Aufnahme dieser Alternative ins sogenannte Abfallwirtschaftskonzept zu verhindern. Inzwischen wissen wir ja auch aus der Zeitung, dass Trienekens „Sonderzahlungen“ und „Prämien“ an die Geschäftsführer der AWB gezahlt hat. Der Erfolg der Kölner Mülllobby ist, dass die AWB alles verbrennt, was ihr unter die Finger kommt, inklusive brauchbare Möbel und Hausrat, obwohl deren „stoffliche Verwertung“, d.h. Wiederverwendung statt Verbrennung, gesetzlich vorgeschrieben ist. Aber Geldzahlungen und Rechtsbrüche gehen in Köln bekanntlich Hand in Hand.
Das Modell ist noch nicht durch den Rat, es besteht aber Hoffnung, insbesondere weil sich nicht nur die Grünen, sondern nach neuesten Informationen auch die CDU dafür ausgesprochen hat.

Weniger gut sieht es bei unseren Umzügen aus. Hier weigert sich das Ordnungsamt unter seinem Leiter Herrn Kilp beharrlich, auf die Umzüge der gemeinnützigen Vereine für bedürftige Bürger die bisher praktizierte Ausnahmeregelung weiter anzuwenden.

In einem Gespräch mit dem Möbelverbund zu diesem Thema machte er deutlich, dass er die „Wildwüchse“ der 70er und 80er Jahre in Köln beseitigen wolle. Auf die Frage, warum er sich die SSM herausgegriffen habe, obwohl auch andere Gruppen Umzüge fahren, sagte er, mit einem müsse man ja anfangen, und er habe sich für die SSM entschieden.

Die neue Sozialdezernentin Marlis Bredehorst von den Grünen hat sich ganz klar für die Erhaltung des Möbelverbundes und unseres Umzugsbetriebes ausgesprochen. Das ist erfreulich und für uns eine große Hilfe, vor allem weil wir bei einem ersten persönlichen Kontakt den Eindruck bekommen haben, dass Frau Bredehorst auch persönlich hinter dem steht, was sie als Dezernentin sagt. Aber erfahrungsgemäß genügt das nicht.

Deshalb bitten wir alle Leserinnen und Leser, sich in dieser Angelegenheit an die Stadtverordneten oder direkt an Oberbürgermeister Fritz Schramma zu wenden. Bitte fragen Sie, warum es sozial benachteiligten Menschen unmöglich gemacht werden soll, für ihren eigenen Lebensunterhalt zu sorgen?

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass solche Briefe erstens nicht ohne Antwort und zweitens nicht ohne Wirkung bleiben. (Kopie bitte an SSM, Düsseldorfer Str. 74, 51063 Köln, Mail: info@ssm-koeln.de)


Oberbürgermeister Schramma
Rathaus, 50667 Köln
Mail:
stadtverwaltung@stadt-koeln.de


CDU-Fraktion
Rathaus, 50667 Köln
Mail:
cdu-fraktion@stadt-koeln.de



SPD-Fraktion
Rathaus, 50667 Köln
Mail:
info@koelnspd.de

Grüne-Fraktion
Bürgerstr. 2, 50667 Köln
Mail:
gruene-fraktion@stadt-koeln.de

FDP-Fraktion
Rathaus, 50667 Köln
Mail:
fdp-fraktion@stadt-koeln.de


PDS-Gruppe
Gülichplatz 3, 50667 Köln
Mail:
pds-gruppe@stadt-koeln.de



Anhang

Stichpunkt: SSM und die Stadt Köln

Für die Stadt Köln macht sich unsere »Sozialistische Selbsthilfe Mülheim« bezahlt. Ex-Fixer, Ex-Alkoholiker, Ex-Obdachlose, Ex-Arbeitslose, Behinderte, kurz Menschen, die ansonsten in unserer Gesellschaft kaum eine Arbeit bekommen, verdienen sich hier durch Wohnungsauflösungen und einen Second Hand-Laden ihren Lebensunterhalt selbst. Sie beziehen keinerlei Sozialhilfe oder Arbeitslosengelder. Bei der SSM sitzen alle im selben Boot und alle rudern mit, so gut sie können. 'Keiner ist überflüssig', so lautet das Geheimnis unseres Erfolges. Schon seit 1979 besteht die SSM. Inzwischen haben hier 20 Menschen ihr Zuhause und ihr Auskommen gefunden. So erspart unsere Selbsthilfe der Stadt Köln jährlich mindestens 250.000 DM im Sozialbudget.

Eine Unterstützung für uns seitens der Stadt Köln hielt sich andererseits in bescheidenem Rahmen. Ihr Beitrag für die SSM bestand darin, daß sie uns nach langer Auseinandersetzung eine alte Fabrik zur Miete überlassen haben, welche eigentlich weggebaggert werden sollte. Instandgesetzt und ausgebaut wurden die Gebäude mit der Muskelkraft der SSMler und ihrer Unterstützer.


Weitere Informationen zum Selbsthilfeprojekt unter
www.ssm-koeln.org
oder anfordern bei Institut für Neue Arbeit, Düsseldorfer Str. 74, 51063 Köln.




SSM·Düsseldorfer Str. 74·51063 Köln·Tel. 6403152·Fax 6403198·info@ssm-koeln.org·www.ssm-koeln.org