Arbeiten macht mir wieder Spaß


Wilfried Stegemann      

Seit August letzten Jahres arbeite ich beim SSM, seit März 2004 wohne ich auch auf dem Gelände. Dass es mich ausgerechnet zu diesem Selbsthilfeprojekt verschlagen hat, verdanke ich eher einer Aneinanderreihung von Zufällen. Zum einen lebte ich schon einige Zeit in Mülheim, zum anderen wurde ich gerade mal wieder arbeitslos. In verschiedenen Jobs hatte ich mich als Lagerarbeiter und Facharbeiter durchs Leben geschlagen. Einfach nur für den Gewinn eines Unternehmens zu arbeiten ist mir schon immer eine Zumutung gewesen. In den letzten Jahren drang dazu noch der neoliberale (Un)-Geist in die Werkhallen ein. Jetzt sollten wir nicht nur arbeiten, sondern auch noch mit Begeisterung „unser“ Unternehmen voranbringen. Und wer da nicht mitzieht, findet sich schnell in der Isolation oder in der Arbeitslosigkeit wieder.
Heute ist das Solidarische in der Arbeitswelt fast verschwunden. Gleichzeitig hat sich die neue Spasskultur breit gemacht. Der Zu- sammenhang liegt auf der Hand. Wer sich acht oder mehr Stunden unter Leistungsdruck stellt, will nur noch vergessen, konsumieren oder zwanghaft Spaß haben. Die Aussicht, mich
erneut auf dem offiziellen Arbeitsmarkt anbieten zu müssen, widerstrebte mir zutiefst. Diese Welt ist nicht mehr meine.

SSM und SSK kannte ich bereits durch Presseberichte. Letzten Sommer lief ich hier zur Sitzung auf, schilderte meine Situation und konnte zu meiner Überraschung sofort mitmachen. Ein halbes Jahr habe ich erstmal ehrenamtlich mitgearbeitet, soweit mein Status als Arbeitsloser dies zuließ, bis endlich eine Wohnung frei wurde. Seitdem bin ich Mitglied bei der SSM und habe mein
wilfried.mm14.tif
Wilfried Stegemann  im SSM-Laden
laden_weiss_2.tif
Auskommen.
Für mich bedeutet der SSM weder eine Ergänzung zum offiziellen Arbeitsmarkt noch verstehe ich ihn als eine Art Auffanglager für Bedürftige und Gescheiterte aller Art. Der SSM ist viel mehr eine echte und vor allem praktische Alternative zum bürgerlich-liberalen Verständnis von Leben und Arbeiten.

Seit etwa einem halben Jahr kümmere ich mich nun schwerpunktmäßig um den SSM-Gebrauchtwarenladen. Dieser Laden ist zumindest in dreierlei Hinsicht wichtig für uns. Zunächst versorgt sich die Gruppe, aber auch Bedürftige, aus ihm mit Kleidung, Hausrat und anderem, was der Mensch zum Leben braucht. Ein Teil der Waren wird jedoch verkauft und dient so als Einnahmequelle für den SSM. Wichtig ist aber auch der kommuni-kative Aspekt, denn Ladentag ist für uns gleichzeitig Tag der offenen Tür. Hier läßt sich über die Tagesereignisse reden, es werden Informationen aller Art ausgetauscht oder es wird ganz einfach gequatscht. Kinder dürfen spielen und Hunde müssen auch nicht draußen bleiben. Häufig werde ich auch von Interessierten über die aktuellen Ereignisse beim SSM befragt,
z. B. über unsere derzeitige Auseinandersetzung mit dem Ordnungsamt Köln.

Natürlich geht es auch in unserem Laden um das Geschäft. Im Prinzip verkaufen wir alles was uns bei den Wohnungsauflös- ungen in die Hände fällt, von der Pinzette bis zum Modellflugzeug. Den Schwerpunkt bilden jedoch nützliche Gebrauchsgegenstände aller Art. Wer in den SSM-Laden geht, sucht in der Regel nach einem billigen Elektroherd, einer Waschmaschine oder nach gut erhaltenen Möbeln, Lampen und Geschirr. Sehr beliebt ist auch unser Kleiderladen, wo sich manches gute Teil für wenig Geld erstehen läßt. Ein weiterer Kundenkreis ist besonders an unserer reichhaltigen Auswahl an Porzellan und Glas interessiert. Darunter befindet sich nicht selten ein besonders edles und schönes Eß- oder Kaffeeservice. Fehlen Ihnen Vasen, Blumentöpfe, Obstschalen in der Wohnung?
Der SSM hat sie in großer Anzahl zu atemberaubend günstigen Preisen. Freunde alter Bücher kommen hier ebenfalls auf ihre Kosten, bieten wir die Schwarten doch an wie geschnitten Brot. Wir haben in der Regel mehrere tausend Titel auf Lager, die normalerweise für kaum mehr als ein bis zwei Euro pro Stück den Laden verlassen. Da wird so mancher Leser gierig, zumal es bei Abnahme größerer Mengen noch ordentlich Rabatt gibt.

Inzwischen bin ich über ein Jahr dabei. Ich spüre immer noch meine Lethargie, mein dickes Fell, meine Gleichgültigkeit und Resignation: die Folgen langjähriger fremdbestimmter Lebenszeit. Es fällt mir immer noch schwer, die Eigeninitiative zu ergreifen und beispielsweise im Laden-Bereich volle Verantwortung zu über- nehmen. Was ja bedeutet, diese unsere wichtige Einnahmequelle nicht versiegen zu lassen, vielmehr noch zu steigern. Weil wir natürlich auch auf Geld angewiesen sind. Was ist diese Vase aus dem 19. Jahrhundert wert? Mühsam habe ich mir nach und nach ein erstes Wissen über die Preise der vielfältigen Gebrauchtwaren erworben. Ich mußte lernen, über Preise zu verhandeln, auch schon mal hart zu bleiben. Die Kontakte mit den Kundinnen und Kunden sind manchmal für mich sehr schwierig, aber auch oft sehr erfreulich. Ich freue mich mit, wenn neue KundInnen über unser Angebot regelrecht begeistert sind. Jedenfalls konnte ich so meinen angestauten generellen Unmut über Mitmenschen allmählich loswerden.
Als Einzelgänger war es für mich lange schwer - und ist es immer noch - meine persönlichen Interessen mit denen in der Gruppe in Einklang zu bringen. Aber auf Schwierigkeiten war ich eingestellt. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass wenn überhaupt noch Selbstentfaltung möglich sein kann, die SSM hervorragende Möglichkeiten bietet. Besonders schätze ich, dass hier niemand ein Bewerbungsschreiben gar mit kompletten Lebenslauf vorlegen muss. Ich liebe das freie Klima und dass es hier keine Normen für Kleidung oder Haartracht a la Karstadt gibt.
Vielen Dank fürs Anpacken an Elke, Iris, Erika und Susanne. Und was wäre der Laden heute ohne Rannes Energie? Dank auch an unseren Kunden Rolf, der mir schon viele Tipps aus seinem Warenwissen weitergegeben hat. Ja, auch das gibt es hier.
P.S. Wer möchte noch mitmachen? Zum Beispiel Donnerstags, wenn unser Räumtag im Laden ist. Das viele Entdecken, Aussortieren, Einsortieren, Präsentieren und Sauberhalten ist von uns alleine kaum zu bewältigen und vieles müßte verbessert werden. Wer in geselliger Atmosphäre mitgestalten oder uns unter die Arme greifen möchte, möge sich bei mir melden. Und bitte weitersagen.

Unser Laden hat Dienstags und Freitags von 14 bis 18 Uhr geöffnet, Samstags von 11 bis 14 Uhr.