25 Jahre SSM
...eine Liebeserklärung

tanz

Ranne Michels Samstag, der 6. November, 10 Uhr. Heute abend soll unser Fest steigen. Wir wollen uns alle treffen, um genau abzusprechen, wer welche Aufgaben übernimmt und was alles getan werden muß. Iris und Karsten warten schon seit einer Stunde vor unserem Gemeinschaftsraum.Trotzdem gut gelaunt kocht Iris erst mal Kaffee. Karsten von der Reggae-Band wartet auf Gunnar und Reinhard, um die Instrumente zu holen und im Veranstaltungsraum aufzubauen. Rainer und Bernhard kommen. Den Rest unserer Leute wecken oder nicht – das ist jetzt die Frage. Wir entscheiden uns fürs Wecken.

ansage saenger

Freddy taucht auf, ungekämmt, verpennt. Er weiß endlich, wer Schuld an der Psychose seines Bruders hat, nämlich Elke. Zum Glück ist sie noch nicht da. Charlie, Wilfried und Tichomir tauchen auf. Gunnar und Reinhard fahren mit dem PKW spritzig auf den Hof. Wo kommen die her? Gunnar steht das Drama ins Gesicht geschrieben. Er erzählt, daß seine Freundin in der Nacht einen schweren Unfall hatte und er die ganze Nacht an ihrem Bett gewacht und kein Auge zugemacht habe, der Arme. Er kann auf keinen Fall mit dem LKW die Instrumente holen. Also erbarmt sich Charlie und fährt mit Karsten los. Wo bleibt bloß Michael? Es hat vor Tagen Krach gegeben. Ich höre, daß er beleidigt im Bett liegen soll. Und wo ist Heinz? Er ist nicht bereit zu kommen, hat noch andere Sachen zu tun, sagt er, und außerdem habe er sich bereits für abends bis zehn zum Spülen gemeldet. Erika kommt – wie immer tatendurstig.
Es ist ein traumhafter Tag, kalt und windig, aber sonnig. Erika und ich sind erst mal an den Rhein, um ein paar dekorative Zweige zum Schmücken zu suchen. Hagebutten, Hopfen und manch anderes hübsche Gestrüpp haucht sein Leben unter unserer Rosenschere aus. Pfaffenhütchen, orange und pink, auf keinen Fall pflücken - stehen unter Naturschutz, schade! Wir sind schon fast in Flittard, als uns der Regenschauer erwischt. Zum Unterstellen gibt es nichts. Erika kramt ein paar Plastiktüten aus ihrer Tasche – wenigstens was auf den Kopf! Ein älteres türkisches Ehepaar kommt uns entgegen, lacht sich halb tot, und als ich mich später umsehe, haben sie plötzlich auch Plastiktüten auf dem Kopf.
Als wir zurückkehren, sehen wir, daß Elke nun auch eingetrudelt ist. Iris hat bereits Kartoffeln geschält und geschnitten. Filip räumt mit Thorsten das ganze Holz vor der Eingangstür weg. Das Treppenhaus müßte eigentlich auch noch gefegt werden. Ein älterer Freund (70) von Petra und Reinhard aus Ehrenfeld hat das Fleisch für 40 Leute zubereitet. Wir sind gespannt darauf, was uns erwartet.
In der SSM-Küche wirkt Kalen. In Windeseile entstehen die köstlichsten Speisen: Kartoffelgratin, Mousse au Chocolat (komplett selbstgemacht), Bio-Spätzle, gerollte Lachs-Pfannkuchen, Hummus (Kichererbsenpüree), Möhrengemüse , Salate und und und.
Wie verabredet schmücken Wilhelmine, Charlotte und Susanne die INA-Räume. Als ich mich umziehen will, kommen die Fleischgerichte – ohne Koch. Er hatte einen Zuckerschock und konnte nicht mitkommen. Wunderbarer Rinderbraten, Schweinebraten, Gulasch, Ratatouille, alles in doppelter Menge und bester Qualität mit vielen frischen Kräutern und ganz ohne dicke Mehlsoßen. Das Fleisch muß in andere Töpfe umgeschichtet und angerichtet werden, denn der Koch will seine Töpfe sofort zurück. (Er scheint uns zu kennen). Ein kleines Drama bahnt sich an. Wie sollen wir das Fleisch warm halten und wo? Wir schieben die Töpfe in alle verfügbaren Öfen auf unserem Gelände. Um kurz vor sechs haue ich ab und bitte Susanne, mir bei meinem Outfit zu helfen: schnell umziehen, wieder mal Parfum anstatt Dusche, und es kann losgehen. Kalen steht immer noch in der Küche, es gibt noch einiges zu tun. Und der Abwasch? Scheißegal – machen wir Montag!
Unser Veranstaltungsraum sieht bei jedem Fest anders aus. Dieses Mal soll die Band in der Ecke mit dem Efeufenster stehen und die Biertische und Bänke an der Wand gegenüber. Die Kerzenleuchter fürs Büffett kenne ich schon vom letzten Fest, aber ein segnender Jesus aus Gips und ohne Hände ist neu und wunderbar schräg. Er thront über allen Schüsseln und Töpfen und segnet ohne Hände. Die Bettücher auf den Tischen sehen wie immer ziemlich edel aus und geben der Tafel etwas Mittelalterliches. Jedesmal bin ich wieder aufs Neue begeistert, was man mit diesen Räumen alles anstellen kann. Sie sind zu allen Verwandlungen fähig und scheinen nur darauf zu warten.
Die ersten Gäste kommen: Heinz mit Bruder und dessen Familie, unser Helfer Tim, Sascha und Sevgi mit meinen beiden Enkelkindern, Reinhard mit Petra und Baby und ohne sein typisches LKW-Outfit, sondern mit Sonntagspullover. Welch ein Wandel! Familie Schramm mit Damian, dem Wirbelwind, Susanne mit Töchterchen, Gisela, Michi, Peter – Freunde und Mitstreiter aus alten Zeiten – Frauke mit Mann und süßem Töchterchen Angélique. Und die Babys landen in den Armen der alten Mütter, und die jungen Mütter essen erst mal und freuen sich, die Kleinen ein bißchen los zu sein. Wie immer halten Walter und Dagmar uns die Treue mit vielen guten Wünschen und einem kleinen Umschlag. Eine Delegation von der MüTZe erscheint mit Gisela höchstpersönlich und einem riesigen Kürbis. Rudi begrüßt mich, entschuldigt Gerti, die verhindert ist. Ich bin erleichtert, daß er wieder da ist, gutgelaunt wie immer und tanzfreudig. Susanne schleppt Stühle. Die Bänke allein bieten einfach zu wenig Platz.
»Friendly Fire« beginnt, alle klatschen. Eine nette, unkomplizierte Truppe. Ihr Sänger Carsten, ein Hut- und Mützen-Fan, ist Dauergast in unserem Laden und ihr kostenloser Auftritt für uns ergab sich aus einem Gespräch. Sie spielen sehr gut, auch die älteren unter uns, ertragen die Lautstärke und tanzen begeistert. Susanne verabschiedet sich widerwillig, wäre zu gern noch geblieben: begeisterte Tänzerin mit Tinnitus-Problem zu sein, ist eine echte Strafe Gottes. Später hörte ich, daß sie im Hof heimlich unter der Kastanie doch wieder der Musik verfiel, und erst aufhörte zu tanzen, nachdem ein unachtsamer Rüpel ihr im Dunkeln vor die Füße spuckte. Endlich kommt Gunnars Auftritt als DJ. Er macht das wirklich toll! Werner baggert mich an, und wir tanzen ziemlich wild und verrückt zusammen. Es macht total viel Spaß. Und zwischen durch rettet Rudi mich immer wieder mit einem rasanten Foxtrott vor dem Herzinfarkt.
Gisela und Peter denken laut darüber nach, was den SSM so ausmacht: dass wir nach oben und unten offen sind, keine Berührungsängste haben. Michi schiebt alles auf die Musik als verbindendes Element. Ich überlege, was mit oben und unten konkret gemeint sein soll. Aber alle diese Überlegungen treffen nicht das, was ich spüre: diese gemütliche, warme, weiche Wolke im Bauch, die mich mit jedem verbindet.